Juso-Bildungsfahrt in die „Hölle von Verdun“

Anlässlich des Besuchs in Verdun bloggt Oskar Grimm für die Jusos Rheinland-Pfalz:

Mit dem Ersten Weltkrieg, der vor 100 Jahren endete, erreichte die deutsch-französische Feindschaft ihren vorläufigen Höhepunkt. Zum Sinnbild für die Grausamkeit und das sinnlose Morden des Ersten Weltkriegs ist die Schlacht um Verdun geworden. Etwa 300 Tage dauerte das Elend und das Sterben französischer und deutscher Soldaten in der Belagerung Verduns im Jahr 1916, die als einer der verlustreichsten Kämpfe des ganzen Krieges gilt und den Beinamen „Die Hölle von Verdun“ trägt. Zur Bildungs- und Jugendarbeit der Jusos Rheinland-Pfalz gehört auch das Erinnern an unsere Geschichte und das Lernen aus ihr. Deshalb besuchte am 27. Oktober eine Gruppe von knapp 20 Jusos den Schauplatz der Ereignisse von 1916.

In einer geführten Tour entlang der wichtigsten Orte der Kampfhandlungen und des heutigen Gedenkens konnten wir uns beispielhaft einen Überblick über die Ausmaße des Krieges machen. Zu Beginn besichtigten wir die Zitadelle Verduns, eine große, schwer befestigte Anlage, die den französischen Truppen und zeitweise auch der Zivilbevölkerung als Verteidigungsanlage und Rückzugsort diente. Ähnlich einem Gruselkabinett ist ein Teil des sieben Kilometer langen Tunnelnetzes unter der Zitadelle mit einem Wagen befahrbar. Während der Fahrt durch die engen Gänge werden über Leinwände und Lautsprecher einzelne Geschichten aus der Zitadelle erzählt und ein intensiver Eindruck vom Leben in den dunklen Katakomben vermittelt. Trotz des modernen und emotional mitreißenden Konzepts soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Aufmachung der Anlage in Teilen kritikwürdig ist. Wenn etwa der Wagen durch einen nachgestellten Schützengraben fährt, während das Mündungsfeuer und die Explosionen den Bass der Boxen ausreizen und Befehle gebrüllt werden und wenn die aufgebahrten Särge namenloser Soldaten glorifiziert werden, dann bleibt die Frage offen, wo die Grenzen zwischen Kriegstourismus und der differenzierten Vermittlung emotionaler historischer Sachverhalte verläuft.

Im zweiten Teil des Besuchs konnten wir das Beinhaus besichtigen – ein Gebäude, in dem heute die Gebeine tausender nicht identifizierbarer Opfer der Schlacht gesammelt werden. Erschreckend war, dass man noch heute im Umkreis der Stadt die Überreste von Waffen und Munition, aber auch von Toten findet, die dann ins Beinhaus gebracht werden. Durch Spenden und die finanziellen Beiträge von Angehörigen wird im Beinhaus derer gedacht, die an einem der wahrscheinlich schrecklichsten Orte des Ersten Weltkriegs gefallen sind.

In einer weiteren Befestigungsanlage – dem Fort Douaumont – erklärte uns unsere französische Gruppenleiterin weitere Details zum Leben der Truppen im Kriegsgebiet und zur historischen Einordnung des Standorts Verdun. Während etwa die französischen Soldaten in einem Rotationssystem nur vergleichsweise kurz in den Frontlinien eingesetzt waren, gab es mangels Rückzugsmöglichkeit für die deutschen Soldaten kaum die Möglichkeit, sich von den unmenschlichen Umständen im Kampfgebiet zu erholen. Durch den Verlauf der Gefechte war das Fort Douaumont sowohl in französischer, als auch in deutscher Hand – und für beide Seiten wurde es zum Massengrab. Durch Granatbeschuss und Explosionen in den Munitionsräumen kamen auf beiden Seiten viele Menschen ums Leben. Aus der Not, die durch den ständigen Beschuss heraus entstand, entschieden Franzosen und Deutsche jeweils, ihre Toten nicht zu bergen, sondern die betroffenen Teile des Forts zuzumauern. So ist das Fort auch heute noch zugleich Bildungsstätte und Gruft.

Zum Abschluss konnten wir den Soldatenfriedhof vor dem Beinhaus besuchen. Die abertausenden weißen Kreuze, in unzähligen, fein geordneten und schnurgeraden Reihen verdeutlichen, wie sinnlos und tragisch das massenhafte Sterben der Menschen in diesem Krieg war. Für die muslimischen Soldaten, die beispielsweise aus ihrer marokkanischen Heimat vom französischen Militär eingezogen wurden, sind etliche Steintafeln vorgesehen, für die jüdischen Toten gibt es eine eigene Gedenkwand. Über die Absurdität der Hölle von Verdun kann aber auch die Inschrift der Kreuze und Tafeln „Mort pour la France“ (Gestorben für Frankreich) nicht hinwegtäuschen.

Das Fazit der Bildungsreise ist mehrschichtig. Die Fahrt nach Verdun erlaubte, sich intensiv mit dem Leben der Soldaten an der Front des Ersten Weltkrieg auseinanderzusetzen. Das Grauen des Krieges war allgegenwärtig spürbar – selbst bei den Autofahrten durch den Wald waren die Überreste von Bombenkratern sowie Lauf- und Schützengräben zu sehen. Gleichzeitig laden Teile der Anlage aufgrund ihrer Aufmachung zu einer unreflektierten und distanzlosen Faszination für die Geschehnisse von 1916 ein. Neben den erfreulicheren Umständen wie etwa der exzellenten Versorgung mit Snacks ist herauszustellen, dass ein Besuch in Verdun das Privileg des Friedens, das wir seit über 70 Jahren in Europa genießen, wirklich greifbar machen kann. Das ist eine Erkenntnis, die gerade auch im Vorfeld der bislang vielleicht bedeutendsten Europawahl im Jahr 2019 das in den Mittelpunkt rückt, was in den Mittelpunkt gehört: Der Fortbestand von Frieden und Freundschaft zwischen den Menschen in Europa muss täglich neu errungen werden, wenn die Geister der Vergangenheit uns nicht einholen sollen. Deshalb stehen wir als Jusos Rheinland-Pfalz ganz besonders für ein soziales, freies und friedliches Europa der guten Freundschaft.
Auch das ist eine Lehre aus Verdun.