Reden rettet keine Leben: Für eine Widerspruchslösung bei Organspenden

Am 16. Januar 2020 hat der Bundestag über die Einführung einer Widerspruchslösung bei Organspenden abgestimmt. Und in der Debatte sind sie wieder – die Zahlen: Deutschlandweit warten 10.000 Menschen auf ein Spenderorgan. Auf ein Organ, das ihr Leben wesentlich verlängern würde. Auf ein Organ, ohne das sie in absehbarer Zeit sterben werden. 84 Prozent der Deutschen sind der Meinung, dass alle Bürger*innen sich prinzipiell aktiv entscheiden sollten, ob sie ihre Organe spenden oder nicht – doch nur rund 40 Prozent der Bürger*innen haben selbst einen Organspendeausweis und regeln somit aktiv, ob und welche Organe sie spenden wollen – oder eben auch nicht. Auf die Zahlen folgen jedes Jahr, pünktlich zum Tag der Organspende – in diesem Jahr am 06. Juni 2020 – die verschiedensten Forderungen, Wünsche und Thesen, die doch bitte diese wirklich wichtige Debatte anstoßen mögen. Allein: Das reicht nicht. Die wirklichen Maßnahmen, die fehlen. Dabei müssen sich Ärzt*innenverbände, Krankenkassen und Politiker*innen nichts neues ausdenken, es bedarf keines Geistesblitzes, um eben jenen 10.000 Menschen tatsächlich zu helfen. Die Niederlande, Frankreich oder auch Italien zeigen uns schon heute mit der Widerspruchslösung, wie es geht: Jede*r Erwachsene muss mit Vollendung des 18. Lebensjahres aktiv erklären, dass die eigenen Organe nach dem Tod nicht gespendet werden dürfen. Wird dieser Widerspruch nicht aktiv erklärt, so werden die Organe nach dem Tod des Menschen in jedem Falle entnommen und gespendet – und retten so einem anderen Menschen das Leben.

Die in Deutschland geführte Diskussion verweist immer wieder auf den Wert des Lebens und argumentiert vermeintlich ethisch: Ist es denn angemessen, ja ist es denn mit der Menschenwürde vereinbar, einem Menschen seine Organe nach dem Tode zu entnehmen – auch wenn er oder sie nicht aktiv zugestimmt hat? Dass von Gegner*innen der Widerspruchslösung die Wahrung der Menschenwürde als Hauptargument herangezogen wird, hat wenig mit selbiger zu tun – die vermeintlichen moralischen und ethischen Bedenken sind stattdessen religiöse und emotionale. Das ist selbstverständlich nachvollziehbar und wäre im Falle der Entscheidung um die eigenen Organe ein legitimer Grund, um der Entnahme zu widersprechen. Religiöse und emotionale Befindlichkeiten sind jedoch in den seltensten Fällen gute Ratgeberinnen, um politische Entscheidungen zu treffen. Die Wahrung der Menschenwürde, der derzeitige Mangel an Organspenden und die Not vieler schwerkranker Menschen sind es schon eher. Diese Menschen können nicht darauf warten, dass alle anderen die Zeit finden, sich aktiv um einen Organspendeausweis zu bemühen. Die Einführung einer Widerspruchslösung erfüllt das Anrecht auf Wahrung der Menschenwürde der auf eine Spende angewiesenen Menschen erst – und gibt gleichzeitig denen, die aus guten Gründen nicht spenden möchten, die Möglichkeit, dem aktiv zu widersprechen. Es gäbe nur Gewinner*innen – hätte der Bundestag die Widerspruchslösung zugelassen.